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Desaster der Demokratie

In diesen Tagen entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit des ESM. Im Kern geht es um die durch die letzte Entscheidung der EZB noch verschärfte Frage, ob das Haushaltsrecht des Parlamentes durch den ESM verletzt wird. Letzten Endes können ja mit dem geschaffenen „Rettungsinstrument“ unmittelbar, quasi im Namen und für Rechnung der Bundesrepublik Deutschland, Schulden in unbegrenzter Höhe begründet werden.

Staatsschulden ohne Parlament

Wenn also im nächsten Jahr ein neues Parlament gewählt wird, dann ist dessen Einfluss auf die Steuergesetzgebung und die Ausgabenpolitik möglicherweise bereits deshalb begrenzt, weil in den Folgejahren Fehlbeträge aus dem ESM von Deutschland finanziert werden müssten. Auch wenn der schlimmste Fall gar nicht eintreten muss – das ist für sich genommen problematisch. Schon die Glorious Revolution hatte mit der Bill of Rights 1689 den Grundsatz durchgesetzt, dass der König für die Erhebung von Steuern und Abgaben die Zustimmung des Parlamentes braucht. Und genau darauf berief sich die Revolution der amerikanischen Kolonisten gegenüber dem Mutterland: „No taxation without representation.“ Wenn außerhalb des Haushaltsrechts des Parlamentes Schulden zu Lasten der Bundesrepublik begründet werden können, bricht ein Baustein liberaler Demokratie weg.

Kontrollverlust

Damit ist jedoch das ganze Dilemma noch gar nicht hinreichend beschrieben. Die Beseitigung von Handelsschranken zwischen Nationen und die damit einhergehende Internationalisierung des Waren-, Dienstleistungs- und Finanzverkehrs, mit einem Wort der Trend zur Globalisierung, schränkt mutatis mutandis die Möglichkeiten des Nationalstaats zur Regulierung der Angelegenheiten innerhalb der Grenzen seines eigenen Territoriums ein. Und die fortschreitende Technologisierung ermöglicht Produktivitätsgewinne, die den Wegfall oder die Verlagerung von Arbeitsstellen bewirken. Neue Player erlangen Gewicht in den internationalen (Handels-) Beziehungen, man denke nur an China. Die Notwendigkeit für international abgestimmte Regularien, auch und gerade für die Finanzmärkte, steigt in dem Maße, als die Fähigkeit solche politischen Lösungen im Konsens zu erzielen abnimmt.

Die EU kann man auch als ein Projekt verstehen, politische Kontrollfähigkeit angesichts der Entwicklung zurückzugewinnen. Und gerade der ESM soll ja die einzelnen Staaten davor schützen, zum einflusslosen Spielball entfesselter Finanzmärkte zu werden. Die konkreten Institutionen der EU jedoch müssten eigentlich jede Partei in Opposition bringen. National-konservative Parteien dürften sich darüber wundern, dass dem Verlust an Souveränität des Nationalstaates augenscheinlich kein nennenswerter Gewinn an Handlungsfähigkeit auf der EU-Ebene korrespondiert. Jedem echten Marktliberalen sollte davor Grausen, wie sich hier die EU als Staatengemeinschaft zum Nachtwächter der Finanzplutokratie macht. Und selbstredend müssten Sozialdemokraten dagegen opponieren, wie die öffentliche Wohlfahrt derart in den Dienst partikularer Gewinninteressen gestellt wird.

Es regiert der Sachzwang

Nichts dergleichen passiert jedoch. Die Warnung vor einem negativen Urteil des BVerfG in Sachen ESM und der möglichen Folgen auf die Finanzmärkte ist nichts anderes als die Kapitulation vor dem Sachzwang – die Abdankung vom politischen Mandat: „Liebe Wähler, bitte versteht, einen politischen Gestaltungsauftrag können wir gar nicht wahrnehmen, selbst wenn wir wollten.“

Jetzt soll es also das BVerfG richten. Jene urliberale Institution, die aus der Verfassung heraus den Auftrag hat, Rechte des Einzelnen und das Grundgesetz auch gegen den demokratischen Gesetzgeber zu bewahren und zu verteidigen, soll jetzt die Prärogative des demokratischen gewählten nationalen Gesetzgebers gegenüber der EU-Exekutive schützen. Und zugleich über einen Sachverhalt entscheiden, den die gewählte Regierung faktisch als außerhalb ihrer politischen Handlungsfähigkeit liegend betrachtet. Was immer das BVerfG entscheidet – es ist ein Desaster der Demokratie.

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Awaiting Moderation

Mein Kommentar bei Stefan Niggemeier ist im Status „awaiting moderation“ – daher kurz hier inhaltliche Anmerkungen zum Beitrag „Wenn’s brennt, einfach löschen„:

Die in der Presse zum Gesetzentwurf kolportierte pauschale Behauptung, Blogger seien durch das Leistungsschutzrecht quasi überhaupt nicht betroffen (das hatte zum Beispiel das Handelsblatt behauptet und jetzt nachträglich korrigiert) ist unrichtig.

Der Gesetzentwurf beinhaltet noch immer in der Begründung eine etwas verklausulierte Bemerkung („Ist z. B. ein Blogger hauptberuflich als freiberuflicher Journalist tätig und setzt er sich auf seinem Blog mit seinem Schwerpunktthema auseinander, dann handelt er, wenn er hierbei Presseerzeugnisse von Dritten nutzt, zu gewerblichen Zwecken. „), die den m.E. ohnehin nur völlig logischen Schluss zulässt, dass „gewerbliche Blogger“ jedenfalls dann vom Leistungsschutzrecht erfasst sind, wenn sie, wie es der Gesetzentwurf etwas kryptisch in § 87g Abs. 4 formuliert, als

„gewerbliche Anbieter von Diensten (…), die Inhalte entsprechend aufbereiten“

anzusehen sind. Mit der letzten Formulierung sind wohl (?) primär News-Aggregatoren gemeint, aber die Unklarheit der Formulierung läßt offen, ob z.B. die Einbindung eines RSS-Feeds genügt, um einen „gewerblichen Blogger“ in den Anwendungsbereich des Leistungsschutzrechtes zu bringen — als Zahlungspflichtiger.

Warum in der Berichterstattung einfach mal pauschal behauptet wurde, Blogger seien nicht betroffen, findet man übrigens bei Carta kurz erklärt: „Bitte, bitte kein Shitstorm!!

 

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Leistungsschutzrecht: Kritik und Krise

Das Koalitionsvorhaben eines Leistungsschutzrechts für Presseverleger ist recht erfolgreich aus dem Stadium der Kritik in dasjenige der Krise eingetreten. Zeit innezuhalten: Was würde eigentlich den Verlegern ein Leistungsschutzrecht nützen?

Wenn die Verleger es nicht schaffen, die Aufmerksamkeit eines Lesers für den Volltext eines Urhebers – mit begleitendem Material wie z.B. einer Fotostrecke – ausreichend zu monetarisieren, wie sollte es dann möglich sein, dass Suchmaschinenbetreiber über das Leistungsschutzrecht einen ausreichenden Beitrag zur Subventionierung der Verleger erbringen, wenn diese nur die Aufmerksamkeit eines Nutzers für kleine Textschnipsel monetarisieren können.

Scharfe Ungarin mit Mountainbike

Konkret gefragt: Wenn sich Verlagsangebote im Netz durch Anzeigen nicht ausreichend refinanzieren lassen, wie sollte sich daran etwas substantiell verbessern lassen, wenn Suchmaschinenbetreiber die Verleger aus den Mitteln subventionieren sollen, die zuvor durch Werbeanzeigen im Umfeld von Snippets generiert wurden. Es ist ja mehr als unwahrscheinlich, dass Suchmaschinenbetreiber mit Anzeigen im Umfeld von Snippets der Verlagsangebote mehr Einnahmen zu generieren in der Lage sind, als die Verleger mit Anzeigen auf ihren eigenen Webseiten.

Und noch konkreter: Wieviel Geld verdient denn Google wirklich mit Anzeigenwerbung im Umfeld von Text-Snippets der Verlagsangebote? Eine exemplarische Google-Suche nach aktuellen Überschriften des reichweitenstärksten Online-Angebotes des Axel-Springer-Verlages

fördert zu Tage: Google wird damit nicht wirklich Geld verdienen.

Günstige Flüge

Das Gegenargument der Verlegerlobby läßt sich erahnen: Der Suchmaschinenindex sei ja quasi leer, wenn die Verlagsangebote fehlen würden. Ich will mich nicht an der Hybris der Verleger abarbeiten, denn das Argument geht m.E. in wirtschaftlicher Hinsicht fehl. Die Frage wäre ja: Mit welchen Stichwörtern generiert Google Einnahmen aus Werbeanzeigen und in welchem Umfang wird auf den Ergebnisseiten und neben den Anzeigen ein Verlagsangebot gelistet.

Zum vermutlich recht teuren Suchbegriff „Günstige Flüge“ findet sich zum Beispiel in den Suchmaschinenergebnissen auf der ersten Seite gar kein Verlagsangebot. Meine Annahme ist, dass sich auch zu anderen lukrativen Suchbegriffen in den Ergebnissen kaum Verlagsangebote finden lassen. Mag sein, dass Google gigantische Werbeinnahmen erzielt, mag sein, dass ein nennenswerter Teil der Suchmaschinenergebnisse von Verlagsangeboten stammen. Unrichtig dürfte trotzdem sein, dass ein nennenswerter Teil der Werbeeinnahmen von Google mit Suchmaschinenergebnissen von Verlagsangeboten im Zusammenhang steht. Das ist nicht nur schlicht logisch, sondern sogar schon trivial. Je interessanter und damit potentiell lukrativer ein Suchbegriff ist, umso eher finden sich eigens für diese Thematik entworfene Portale.

Abschluss der Pathogenese

Im Zuge der Entwicklung des Leistungsschutzrechts schlagen die Erwartungen der Verleger von Eschatologie zur Utopie um. Prinzipbedingtes Problem des Leistungsschutzrechts ist, dass sich die Einnahmen wiederum aus den Quellen speisen müssen, von denen sich schon die Verleger mit ihren Angeboten schon nicht ausreichend nähren können: Werbeanzeigen im Netz. Deswegen werden die Einnahmen aus dem Leistungsschutzrecht gering bleiben und deswegen ist umso wahrscheinlicher, dass die negativen Effekte des Leistungsschutzrechts – auch und gerade für die Verleger selbst – überwiegen werden.

Die Einnahmeseite eines Leistungsschutzrechtes wird sich selbst dann nicht wesentlich günstiger gestalten, wenn man den Kreis der Verpflichteten, über Suchmaschinenbetreiber hinaus, auf andere Bereiche erstreckt, wie zum Beispiel sogenannte „News-Aggregatoren“. Deren Einnahmenseite und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wird ja noch bedeutend geringer sein, als es bei Google der Fall ist.

Und darum ist Keese im Ergebnis zuzustimmen – das Leistungsschutzrecht ist „unakzeptabel“, weil es nicht einmal den Nutzen bringen wird, für den es vorgeblich geschaffen werden soll. Das erkennt hoffentlich auch die Regierungskoalition.

 

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Wie hoch wird das Aufkommen aus der Leistungsschutzabgabe

Durch einen Artikel bei der Financial Times Deutschland und dank eines von @presseschauer verlinkten Podcast bin ich auf die Idee gekommen, mal das Gesamtaufkommen aus einer zukünftigen Leistungsschutzabgabe zu kalkulieren. Die Grundannahme (aus dem verlinkten Podcast) ist, dass Stefan Niggemeier aus der Leistungsschutzabgabe € 30.000,- p.a. erhielte. Auf der Basis habe ich kurz folgende 2 Szenarien geschätzt.

Szenario 1

Stefan Niggemeier 30.000,00 €
Annahme 1: Stefan Niggemeier repräsentiert ungefähr 1,0 % der dt. Blogosphäre. 3.000.000,00 €
Annahme 2: Die Zeitungsverleger erhalten das 20-fache Aufkommen im Verhältnis zur gesamten dt. Blogosphäre 60.000.000,00 €

 

Der Gesamtbetrag des Aufkommens aus dem Leistungsschutzrecht klingt jetzt natürlich mit 60 Mio. € üppig. Nur muss man diesen Betrag ins Verhältnis setzen zum derzeitigen Gesamtumsatz der Zeitungsverleger. Dieser belief sich in 2011 auf 8.520 Mio. €. In dieser Rechnung wäre das Gesamtaufkommen aus dem Leistungsschutzrecht nur ein Tropfen auf den heißen Stein, was die These des oben verlinkten Artikels in der FTD stützt. In dieser Beispielrechnung läge das gesamte Aufkommen des Leistungsschutzrechts nur bei ca. 10 % des Gewinns, den der Axel Springer Verlag in 2011 gemacht hat. Da Axel Springer voraussichtlich einen erheblichen Teil des Leistungsschutzgeldes erhalten würde, müsste man also anders rechnen, wenn denn bei den wirklich bedürftigen Verlagen auch noch etwas ankommen soll.

Szenario 2

Stefan Niggemeier 30.000 €
Annahme 1: Stefan Niggemeier repräsentiert nur ungefähr 0,5 % der dt. Blogosphäre. 6.000.000 €
Annahme 2: Die Zeitungsverleger erhalten das 50-fache Aufkommen im Verhältnis zur dt. Blogosphäre 300.000.000 €

 

Das sieht jetzt mal für die Verlage besser aus: 300 Mio. € ist schon ein Wort.  Google, dessen marktbeherrschende Stellung die Verleger zu betonen nicht müde werden, wird den übergroßen Anteil diese Betrages allein stemmen müssen. Es ist dann aber fraglich, ob Google seine Geschäfte in Deutschland unverändert – auch für die Verlage – wird fortsetzen wollen.

Aus diesen groben Schätzungen deutet sich für mich folgendes Bild an:

  • Das Gesamtaufkommen aus dem Leistungsschutzrecht ist so gering, dass es den Verlegern nicht viel nützen wird. Dann fragt sich aber, warum es überhaupt eingeführt werden soll.
  • Das Gesamtaufkommen aus dem Leistungsschutzrecht ist so hoch, dass es den Zeitungsverlegern signifikant helfen wird, den Niedergang ihrer Printausgaben zu überleben. Dann müsste voraussichtlich das Leistungsschutzgeld auf viel mehr Schultern verteilt und in kleineren Beträgen inkassiert werden, als nur in einem großen Streich bei Google. Wie das dann funktionieren soll, ohne dass das Zitatrecht eingeschränkt und im Grunde die reine Information einem Monopolrecht unterworfen wird, ist für mich nicht absehbar.
  • Die Grundannahme diese Beitrages ist falsch. Stefan Niggemeier wird leider keine 30.000 € p.a. durch das Leistungsschutzrecht erhalten. Dann müsste man mit anderen Annahmen neu rechnen, wer nun eigentlich wie vom Leistungsschutzrecht profitieren sollen könnte. Ich hoffe, dass dies dann zumindest der Bundestag vor der Abstimmung über das Leistungsschutzrecht macht.

Falls ein Blogleser andere Rechenvorschläge hat, bin ich dankbar für entsprechende Kommentare.

 

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Netzpolitik

Prinzip wird teuer

Heinrich von Kleist hat mit „Michael Kohlhaas“ eine exemplarische Erzählung darüber verfasst, was jeder praktisch tätige Jurist zu lernen hat: „Prinzip wird teuer“. Wenn die Parteien eines (Rechts-) Streits keine pragmatischen Interessen mehr verfolgen und unter Einsatz aller verfügbaren Ressourcen um des Prinzips willen gestritten wird, dann wird die Auseinandersetzung teuer. Als besonders anfällig für solcher Art Streitigkeiten galt bisher das Nachbarrecht oder auch das Familienrecht.

Zwischenzeitlich scheinen nun aber auch im Urheberrecht die Knallerbsensträucher bestens zu Gedeihen. Mit wirren Erklärungen tun sich die Befürworter von ACTA hervor. Was nur noch deutlich wird – es geht der Verwertungsindustrie bei ACTA um’s Prinzip:

  • Der Bundesverband der Deutschen Industrie und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels – neben anderen Verbänden – bezeichnen die Proteste gegen ACTA als Angriff auf demokratische Institutionen. Offensichtlich gebührt das Recht auf Teilhabe am politischen Entscheidungsprozess nur den betreffenden Unternehmen und ihren Verbänden.
  • Die Deutsche Content Allianz behauptet „alle bei ACTA zur Eindämmung von Rechtsverletzungen vorgesehenen Maßnahmen entsprechen bereits dem deutschen Schutzniveau“, nur um daraus dann umstandslos zu folgern: Deswegen solle „das Abkommen nun auch unterzeichnet werden“.  Das ist natürlich nicht nachzuvollziehen.

Auch wenn sich Tendenzen in der EU-Kommission abzeichnen, die auf einen vorsichtigen Rückzug hinweisen bleibt doch abzuwarten, ob nicht ACTA zu einer Frage des Prinzips gemacht werden soll. Die Erfahrung lehrt: Dann wird’s teuer.

Wer sich gegen ACTA engagieren möchte, kann dies zum Beispiel hier tun.